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Eine Frage ohne Zentrum: Kuratorische Rizom in der Wehrmühle

Am 19. Juli wurde in dem historischen Gebäude einer ehemaligen Wassermühle in Bissental die Gruppenausstellung „Some Degree of Friction” eröffnet. Der Ort selbst – die Wehrmühle – ist schon eine Aussage: Die architektonische Erinnerung an die industrielle Vergangenheit verbindet sich hier mit dem Minimalismus des modernen Ausstellungsraums. Eine Autostunde von Berlin entfernt vermittelt dieser Ort ein Gefühl der Abgeschiedenheit in der Natur und gleichzeitig die Eröffnung neuer Horizonte der Kunstwahrnehmung.

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© Wehrmuehle Biesenthal

Die natürliche Umgebung, die Architektur und die kuratorische Logik wirken hier zusammen: Alles Überflüssige wird weggelassen, es bleiben nur Form, Licht, Luft und die Spannung zwischen ihnen.

Die Ausstellung ist inspiriert von der Philosophie von Deleuze und Guattari, insbesondere von den Ideen der „Rhizom“ (ein nichtlineares Hierarchiesystem), sowie vom Dokumentarfilm The Forest Maker (2022), der sich mit Agroforstwirtschaft als Methode zur Wiederherstellung von Ökosystemen befasst. Diese Referenzen werden nicht aufgezwungen, sondern kommen in jedem Raum und in jedem Medium sanft zum Vorschein.

Thematik und Struktur

Das Projekt entfaltet sich auf mehreren Ebenen – im wörtlichen und im übertragenen Sinne. In einem zweistöckigen Gebäude, einem Keller, einem Hangar und einem Garten sind Malerei, Videokunst, performative Elemente und Klanginstallationen nebeneinander zu sehen. Die Arbeiten sind durch gemeinsame Themen verbunden: Körperlichkeit, Widerstand, Ökologie, Technosphäre und die Art und Weise ihrer Interaktion.

An der Ausstellung nehmen mehr als zwanzig Künstler teil, darunter sowohl bekannte Persönlichkeiten als auch ganz junge Autoren. Einige der einprägsamsten Werke:

Sofia Stepanova, Room #1 (2025)

Die in Berlin lebende Künstlerin aus Kiew präsentiert ein Bild, dessen giftige Farbbrüche die Zartheit der Szene ins Vibrieren bringen – eine Erinnerung, die flimmert – eine Familienszene, die sich in eine geisterhafte "Architektur des Erinnerns" verwandelt. Die Gesichter der Kinder, die in Farbschichten verschwinden, stehen neben einem Schatten, der einer von der Zeit ausgewaschenen Figur ähnelt. Hier ist der Einfluss von Marlene Dumas zu spüren – sowohl in der Farbpalette als auch in der fast meditativen Strenge der Bilder. Dieses Werk war eines der einprägsamsten der Ausstellung.

Anne Imhof, Maria (2002)

Ein frühes Selbstporträt der kultigen deutschen Künstlerin, aufgenommen mit einer DV-Kamera. Imhof boxt mit der Kamera zu dem Song „I feel pretty“ aus West Side Story – Spiegel, Aggression, Reflexion und eine fremde, weibliche Stimme. All dies schafft eine eindringliche Reflexion über Sichtbarkeit, Körper und Verletzlichkeit. Die Arbeit steht in starkem Kontrast zu den ephemeren Installationen und bringt den Betrachter zurück zur Materialität des Blicks.

Evangelia Dalton, Water (2025)

Eine Installation mit schmelzendem Eis, Videoprojektion und Ton verwandelt Wasser buchstäblich in ein Medium der Erinnerung, der Zeit und des Verlusts. Mit analogen Technologien und fließenden Materialien untersucht Dalton, wie Wasser zum Spiegel von Identität, Geschlecht und Mythos werden kann.

Tim Schmid, Heaven or Hell (2021 - 2024)

Halbtransparente, scheinbar in der Luft schmelzende Farbschichten auf Organza und einer verchromten Oberfläche regen den Betrachter dazu an, über die Grenzen der Wahrnehmung nachzudenken. Hier gibt es keine klaren Formen – nur Spuren, das Hintergrundrauschen eines Algorithmus, die Illusion einer Schnittstelle, die wir nicht wahrnehmen.

Fazit

„Some Degree of Friction” ist nicht nur eine Ausstellung, sondern ein Ort, an dem der Körper des Betrachters mit dem Ort, der Zeit und anderen Körpern (lebenden, erstarrten, digitalen) in Kontakt tritt. Es geht nicht um Konflikt, sondern um eine Art, in der Welt zu sein – in ihrer Komplexität, Fluidität und Plastizität. 
Die Kuratorin Tjioe Teja Elif Meyer schafft einen Raum für den Dialog zwischen Künstlern, Landschaft und Betrachter und lässt jedem genügend Raum für seine eigene Antwort.
Die Ausstellung ist bis Ende August an den Wochenenden von 12:00 bis 19:00 Uhr geöffnet. Die Wehrmühle bietet nicht nur intellektuelles Eintauchen, sondern auch körperliche Erfahrungen: Man kann im Gras liegen, Live-Musik hören, mit den Künstlern sprechen oder in der Bar im Innenhof einen Kaffee trinken. Für den Besuch sollten mindestens zwei Stunden eingeplant werden.
Diese Ausstellung ist ein seltener Fall, in dem Ort, Kunst und kuratorische Intention dieselbe Sprache sprechen. Oder vielmehr eine Rhizom bilden, in der man selbst zu einem Zweig wird.

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Sasha Polivanov, «Music in Emigration»